Freitag, 25. März 2016

Die Barmherzigkeit persönlich leben


Papst Franziskus spricht in diesen Tagen ständig von der Barmherzigkeit. So will er auch in seiner Botschaft für die Fastenzeit dazu einladen, dass wir die Barmherzigkeit ganz persönlich leben. Es geht nicht bloß um eine Ergänzung der Frömmigkeit und des christlichen Lebens, sondern um einen Kernpunkt für alle und jeden einzelnen Christen. “ Die Barmherzigkeit Gottes ist nämlich eine Verkündigung an die Welt: Jeder Christ aber ist aufgerufen, die Realität dieser Verkündigung ganz persönlich an sich selbst zu erfahren“, was jetzt stärker in die Tat umgesetzt werden sollte.


Die Barmherzigkeit steht im Mittelpunkt der christlichen Botschaft

Ausgehend von Maria, dem „vollkommenen Bild der Kirche, die das Evangelium verkündet, weil sie selbst vom Evangelium durchdrungen wurde“, sind wir in dieser Zeit der Gnade eingeladen, persönlich auf Gottes Wort zu hören. Auf Gott, den Vater, der zärtlich ist wie eine Mutter, der großzügig, treu und mitfühlend ist, der uns immer erwartet, der nie müde wird zu verzeihen.

Das geschieht „vor allem in den ganz dramatischen Augenblicken“ in der Geschichte des auserwählten Volkes, wenn Gott in seinem Bündnis verraten wird. Und trotz allem stellt er die Gerechtigkeit und die Wahrheit wieder her. So sind die Beziehungen zwischen Gott und seinem Volk in der Bibel als „Liebesdrama“ dargestellt.

Es tut gut innezuhalten, um zu sehen, ob unsere Beziehung zu Gott auch so persönlich ist, und ob wir uns besonders in mehr oder weniger lang dauernden Schwierigkeiten im Glauben oder im christlichen Leben an ihn wenden mit Gebet und betrachtender Lesung der Heiligen Schrift, vor allem des Evangeliums.

Im Sohn Gottes, der Mensch geworden ist, erreicht dieses Liebesdrama seinen Höhepunkt. „In ihm gießt Gott seine grenzenlose Barmherzigkeit in solchem Maß aus, dass er ihn zur „inkarnierten Barmherzigkeit“ (vgl. Misericordiae Vultus, 8) macht“. Jesus verkörpert in vollkommener Weise das Hören auf Gott mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit allen Kräften, und das ist der lebendige Kern des Bundes (vgl. Dtn 6, 4 – 5). Der Sohn Gottes erweist sich auch „als der Bräutigam, der alles unternimmt, um die Liebe seiner Braut zu gewinnen, an die ihn seine bedingungslose Liebe bindet, die dadurch sichtbar wird, dass er sich auf ewig mit ihr vermählt“.

In diesem Liebesdrama, das das Herzstück der Verkündigung des Glaubens ist, so stellt der Papst fest, nimmt „die göttliche Barmherzigkeit eine zentrale und grundlegende Stellung ein“, weil sie die Schönheit der Liebe Gottes ist, die sich in Jesus Christus geoffenbart hat: „Die Barmherzigkeit »drückt [dann] die Haltung Gottes gegenüber dem Sünder aus, dem er eine weitere Möglichkeit zur Reue, zur Umkehr und zum Glauben anbietet« (Misericordiae Vultus, 21), um auf diese Weise die Beziehung zu Ihm wiederherzustellen“.


Gottes Barmherzigkeit annehmen

In der Tat zeigt sich die Barmherzigkeit, die Gott ist und die er hat, nicht „im Allgemeinen“, sondern gegenüber jedem einzelnen von uns, die wir Sünder sind. Jeder von uns muss sich prüfen und bekehren, muss glauben und immer wieder zu Gott zurückkehren durch das Bekenntnis der eigenen Sünden im Sakrament der Busse, das das Sakrament der Barmherzigkeit Gottes ist.

Und Franziskus fügt an: „Im Gekreuzigten geht Gott schließlich so weit, den Sünder in seiner äußersten Entferntheit erreichen zu wollen, genau dort, wo dieser sich verirrt und von ihm abgewandt hat. Und dies tut er in der Hoffnung, dadurch endlich das verhärtete Herz seiner Braut zu rühren“. Und diese Braut ist für ihn jeder von uns Christen in der Kirche.

Je weiter entfernt von Gott wir also sind,
desto mehr müssen wir über die Barmherzigkeit Gottes nachdenken. Sie ist für alle da, ohne jemanden auszuschließen. Und wer sich damit im Jahr der Barmherzigkeit auseinandersetzen soll, das bin ich, das ist jeder von uns.

Nur so können wir dann anderen gegenüber Zeugen dieser Barmherzigkeit sein, ihnen unsere Erfahrung weitergeben, sie einladen, sich persönlich zu überzeugen - wie groß ist der Friede und die Freude der Bekehrung! - und sie spüren lassen, dass unser Herz sich verwandelt hat in ein Herz, das den anderen gegenüber barmherzig ist.


Barmherzig sein. Die Werke der Barmherzigkeit

Wenn wir uns so verhalten, dann deshalb, weil „unser Glaube sich in konkreten täglichen Handlungen niederschlägt, deren Ziel es ist, unserem Nächsten an Leib und Geist zu helfen, und nach denen wir einst gerichtet werden: den Nächsten zu speisen, zu besuchen, zu trösten, zu erziehen“.

Deshalb wünscht Papst Franziskus, dass wir uns Gedanken machen über die körperlichen und geistigen Werke der Barmherzigkeit: um „unser Gewissen, das gegenüber dem Drama der Armut oft eingeschlafen ist, wachzurütteln und immer mehr in die Herzmitte des Evangeliums vorzustoßen, in dem die Armen die Bevorzugten der göttlichen Barmherzigkeit sind« (ebd., 15)“.

Jeder von uns ist angesprochen, sich darüber Gedanken zu machen. Sehe ich im Armen tatsächlich das Fleisch Christi, das „ erneut sichtbar (wird) in jedem gemarterten, verwundeten, gepeitschten, unterernährten, zur Flucht gezwungenen Leib …, damit wir Ihn erkennen, Ihn berühren, Ihm sorgsam beistehen“? Und wie handle ich dann?

Bin ich mir bewusst, dass in jedem Bedürftigen „das Leiden des unschuldigen Lammes im Laufe der Geschichte“ fortdauert? Bin ich fähig, darin jenen „brennenden Dornbusch bedingungsloser Liebe, vor dem man sich wie Moses nur die Schuhe ausziehen kann (vgl. Ex 3,5)“ zu entdecken, und mehr noch im Fall der gerade auf Grund ihres Glaubens verfolgten Christen?

Bei näherer Betrachtung „erweist sich jener als der Ärmste, der nicht bereit ist, seine Armut einzugestehen. Er meint, reich zu sein, ist aber in Wirklichkeit der Ärmste unter den Armen“. Sklave der Sünde ist der, der die materiellen Güter gebraucht, um sich selbst zu dienen, nicht Gott oder den anderen (vgl. Lk 16, 20 – 21).

Täuschen wir uns also nicht mit einer oberflächlichen oder verallgemeinernden Betrachtung der Barmherzigkeit, indem wir denken, das muss „für andere“ gelten.

In den Armen ist Christus und bettelt um unsere Bekehrung. Die Armen und Bedürftigen sind „die Möglichkeit zur Bekehrung, die Gott uns bietet und die wir vielleicht gar nicht sehen“. Niemand von uns ist geimpft gegen diese Verblendung, die es mit sich bringt, sein zu wollen wie Gott, nicht nur „in großem Stil“ in den gesellschaftlichen und politischen Formen der Totalitarismen oder in den “Ideologien des vereinheitlichten Denkens und der Technoscience, die sich anmaßen, Gott als irrelevant abzutun und den Menschen auf eine zu instrumentalisierende Masse zu reduzieren“ - nicht nur in Bezug auf „ein irriges Entwicklungsmodell, das auf der Vergötterung des Geldes beruht. Dies führt zur Gleichgültigkeit der reicheren Menschen und Gesellschaften gegenüber dem Schicksal von Armen, denen sie ihre Türen verschließen und die wahrzunehmen sie sich sogar weigern“.

Und nicht nur das. Es geht um „uns selbst“, um jeden einzelnen; oder im häuslichen Bereich um die Familie, oder um die Gruppe der Freunde. Deshalb ist jetzt, so lesen wir, „eine geeignete Zeit, um durch das Hören auf Gottes Wort und durch Werke der Barmherzigkeit endlich die eigene existenzielle Entfremdung zu überwinden“.

Papst Franziskus sagt konkret: “ Wenn wir durch die leiblichen Werke (der Barmherzigkeit) das Fleisch Christi in unseren Brüdern und Schwestern berühren, die bedürftig sind, gespeist, bekleidet, beherbergt und besucht zu werden, dann berühren die geistigen Werke unmittelbarer unser Sünder-Sein: beraten, belehren, verzeihen, zurechtweisen, beten. Die leiblichen und die geistigen Werke dürfen daher nie voneinander getrennt werden. Denn gerade indem der Sünder im Armen das Fleisch des gekreuzigten Jesus Christus berührt, kann ihm – gleichsam als Geschenk – bewusst werden, dass er selbst ein armer Bettler ist“.

„Einzig in dieser Liebe liegt die Antwort auf jenes Sehnen nach ewigem Glück und ewiger Liebe, das der Mensch mit Hilfe der Götzen des Wissens, der Macht und des Reichtums meint stillen zu können“. Götzen, die – der Papst spricht es ohne Gehabe aus – in den ewigen Abgrund der Einsamkeit, die die Hölle ist, führen können. Dies zu beachten, gehört auch zum Entschluss, die Barmherzigkeit persönlich zu leben.

Publiziert am Mittwoch, dem 3. Februar 2016,

übersetz von I. R. 


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