Freitag, 25. März 2016

Den Familiensinn neu entdecken

Um diesen Auftrag heute auszuführen, „wird eine neue Art von Netzen gebraucht“


Bezeichnenderweise hat Papst Franziskus unter vielen möglichen Themen für die Generalaudienzen während der Familiensynode die Beziehung zwischen Kirche und Familie gewählt. Es ist eine unauflösliche Beziehung, sagte er von Beginn an, die ihren Horizont auf das Wohl der ganzen Menschheit hin öffnet.

Folgen wir seinen Gedanken über den Familiensinnin drei Schritten: zuerst ein Blick auf die Gesellschaft mit den Augen eines, sagen wir, christlichen Humanismus; ein zweiter Blick nach innen, um die Sendung der Kirche hier und heute zu diesem Thema wieder zu entdecken; und eine Folgerung und ein Wunsch für die Familiensynode.


Was man heute in der Gesellschaft sieht

1. Was sieht man heute in der Gesellschaft? Da herrscht ein Wettbewerbsklima, das von dem überall verbreiteten Verlangen nach Selbstverwirklichung gefördert wird. Davon leitet sich ein Stil menschlicher Beziehungen ab, der übertrieben rational und formal ist, aber auch „blutleer“, trocken und anonym. Manchmal wird er unerträglich. „Obgleich er in seinen Formen inklusiv sein will“, zeigt der Papst auf, „lässt er in Wirklichkeit eine immer größere Zahl von Menschen in Einsamkeit und Absonderung zurück“.

Überall nimmt man die Notwendigkeit einer kräftigen Belebung des Familiensinns wahr, denn „ die Familie eröffnet für die ganze Gesellschaft eine viel menschlichere Perspektive“: sie zeigt, wie man die Welt mit Menschlichkeit betrachten kann, sie führt in die menschlichen Werte ein – wie die Treue, die Aufrichtigkeit und die Zusammenarbeit - , in das Vertrauen und die Achtung vor den anderen, in die besondere Aufmerksamkeit auf die Schwächsten. „Wer in der Gesellschaft eine solche Haltung praktiziert, hat sie sich vom Familiensinn her zu Eigen gemacht – und gewiss nicht vom Wettbewerbsdenken und vom Wunsch nach Selbstverwirklichung“.

Aber diese Rolle der Familie ist in der Gesellschaft nicht anerkannt. Ja, im menschlichen Zusammenleben scheint es nicht einmal eine Spur dieses Familiensinns zu geben. Trotz des Fortschritts der Wissenschaft und der Technik ist man zu einer Überlagerung zweier Extreme gelangt, die einander entgegengesetzt sind: eine Zunahme an Bürokratie oder an Technokratie, - die die persönlichen Beziehungen verringern, – und eine Degradierung der guten Manieren – in Richtung exzessiver Beziehungen mit negativer Wirkung, weil sie die Integrität der Person verletzen.


Die Kirche revidiert ihr eigenes Leben

2. Genau in diesem Punkt erkennt die Kirche heute ihre Sendung in Bezug auf die Familie und den „Familiengeist“ in der Gesellschaft: ausgehend von einer aufmerksamen Prüfung ihres eigenen Lebens.

„Man könnte sagen“, stellt Papst Franziskus dazu fest, „dass der »Familiengeist« eine Verfassungscharta für die Kirche ist: So muss das Christentum erscheinen, und so muss es sein. Das steht deutlich geschrieben“. So versteht es der hl. Paulus: „Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Eph 2, 19). Zusammenfassend: „Die Kirche ist die Familie Gottes und muss es sein“.

Der Papst erinnert daran, dass Jesus Petrus, den ersten Papst, berief und ihm sagte, dass er ihn zum „Menschenfischer“ machen werde. Um diese Aufgabe heute auszuführen, bedürfe es einer neuen Art von Netzen. „Die Familien sind heute eines der wichtigsten Netze für die Sendung des Petrus und der Kirche“. Aber er macht aufmerksam, dass „das kein Netz (ist), das Menschen einfängt“. Im Gegenteil, „es befreit aus dem abgestandenen Wasser der Verlassenheit und der Gleichgültigkeit, das viele Menschen im Meer der Einsamkeit und der Gleichgültigkeit ertränkt“. Es sind gerade die Familien, die „gut wissen, was es bedeutet, die Würde zu besitzen, sich als Kinder zu fühlen und nicht als Knechte oder Fremde oder nur als eine Nummer im Personalausweis“.

Jesus verbringt sein Leben unter den Menschen und fördert diesen Familiensinn: um sie daran zu erinnern, dass Gott sie nicht vergessen hat. Das entspricht der sichersten Exegese unserer Tage, wenn sie aufzeigt, dass den Kern der Predigt Jesu die Kirche bildet, und zwar als Familie.

Auch von da her, von diesem Familiensinn, den Jesus predigt, - und den die Gesellschaft und die Kirche heute brauchen -, so zeigt der Papst auf, schöpft Petrus die Kraft für sein Amt, und die Kirche bricht zu einem Fischfang auf, der mit einem Wunder enden wird.

Man könnte fast sagen, dass der jetzige Papst von seinem persönlichen Gebet spricht mit einem glasklaren Bewusstsein, was es hier und heute bedeutet, der Nachfolger des Petrus zu sein, wo die Familie und die Familien der Welt auf dem Spiel stehen.


Eine Folgerung und ein Wunsch für die Synode

Abschließend wünscht Papst Franziskus für die Familiensynode, dass die Begeisterung der Synodenväter, vom Heiligen Geist beseelt, die Kirche veranlassen kann, sich aufzumachen, die alten Netze aufzugeben und dass sie mit dem Fischen beginnt – mit den neuen Netzen des Familiensinns – voll Vertrauen auf das Wort des Herrn.

Und er fügt daran noch eine überraschende „Werbung“ für die Familie aus dem Evangelium: Wenn sogar böse Eltern ihren hungrigen Kindern nicht das Brot verweigern würden, dann ist es unvorstellbar, dass Gott den Geist denen nicht gibt, die ihn inständig und inbrünstig darum bitten (vgl. Lk 11, 9 – 13), auch wenn sie unvollkommen sind.

Gesellschaft, Kirche und Familie sind - so sieht sie der Papst – aneinander gebunden. Er zeigt der Gesellschaft auf, dass es für sie gut ist, die Familie zu unterstützen. Er zeigt der Familie ihre faszinierende Aufgabe zugunsten der Gesellschaft. Er lässt die Kirche erkennen, dass sie immer von der Familie „lernen“ muss, das zu sein, was Jesus vom Anfang an wollte, dass die Kirche ist: Familie Gottes. Und als Nachfolger Petri zeigt er der Synode auf, dass der Heilige Geist die wahre Hauptperson ist, der Erste und Wichtigste dieses „Familiensinns“, den wir alle brauchen. Deshalb tut es uns gut, ihn im Gebet anzurufen, ihn um seine Hilfe und sein Wirken zu bitten und uns Familie werden zu lassen durch Ihn und für die anderen.


Publiziert am Montag, dem 12. Oktober 2015,
übersetz von I. R. 

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