Samstag, 29. Mai 2021

Die Herausforderung, den Religionsunterricht zu erneuern

Die spanische Bischofskonferenz hat durch ihre Kommission für Bildung und Kultur im Zusammenhang mit der Arbeit an der Erneuerung des katholischen Religionsunterrichts ein "Synthesedokument" (*) veröffentlicht. 

Dieses Dokument fasst die Präsentationen und Dialoge einer Gruppe von Experten zu diesem Thema zusammen, sowie die Beiträge und Vorschläge, die von vielen Religionslehrern, die meisten von ihnen Spanier, aber nicht alle, in einem virtuellen Forum, das zu diesem Zweck in den letzten Monaten abgehalten wurde, eingesandt wurden. 

Im Rahmen des neuen Bildungsgesetzes, des LOMLOE (bezieht sich auf Spanien), wird an der Erneuerung des Lehrplans für Religion gearbeitet. 

Wir fassen hier die 10 Punkte der Schlussfolgerungen aus diesem Dokument zusammen. 



1. Die Zentralität der Person 

Wie Kardinal Angelo Bagnasco, Vorsitzender des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen, in seiner Eröffnungsrede zum Forum betonte, steht der Religionsunterricht im Dienst des Gemeinwohls und der Humanisierung. Das bedeutet, den Menschen in den Mittelpunkt der Bildungsprozesse zu stellen, so wie es Papst Franziskus im "Globalen Bildungspakt" und in seinen Enzykliken Laudato si' und Fratelli tutti aufzeigt. 

 

2. Der internationale Kontext der Bildung

 Das Forum hat den internationalen Rahmen der Bildungserneuerung hervorgehoben, insbesondere den europäischen, mit Verweisen auf die laufenden Projekte: von PISA und der OECD, der Vereinten Nationen und der 2030-Agenda sowie der UNESCO. Vor allem den Rahmen der "Schlüsselkompetenzen" (siehe unten, Nr. 7) für lebenslanges Lernen, der für jeden Bürger der Europäischen Union vorgeschlagen und 2018 aktualisiert wurde, und der für 2025 geplante Europäische Bildungsraum.  

 

3. Der pädagogische Rahmen des LOMLOE

Ohne auf die politischen, juristischen und wirtschaftlichen Fragen einzugehen, die die Erziehungsinstitutionen und die Familien betreffen, sind hier die pädagogischen Neuerungen des Lehrplanrahmens des LOMLOE (bezieht sich auf Spanien) hervorgehoben, die noch durch die entsprechenden Erlässe für die verschiedenen Etappen der Erziehung zu konkretisieren sind. 

 

4. Die Theologie als Hauptquelle des Lehrplans der katholischen Religion 

Als "Quellen" des Lehrplans für Religion und in Übereinstimmung mit den Dimensionen der Person werden schon seit vielen Jahrzehnten vier aufgezeigt: die erkenntnistheoretische Quelle (die den Gegenstand, den Inhalt und die Methoden dieses Unterrichts bestimmt), das ist die Theologie, und die psychologischen, soziokulturellen und pädagogischen Quellen, die notwendig sind, um die Schüler, ihr Umfeld und die Art und Weise des Unterrichts zu berücksichtigen. 

Die Theologie (Reflexion über den Glauben) greift also ein, um die Grundlagen bereit zu stellen für den Dialog zwischen Glaube und Kultur, der zum Bildungsverlauf in unserem Fach gehört. Und auch um die Inhalte aufzuzeigen, die zu diesem Unterricht gehören, wie: die Offenbarung, die durch die Tradition und die Schrift überliefert ist: die Erkenntnis Gottes des Vaters und die Zentralität Christi, die christliche Anthropologie, die kirchliche Gemeinschaft und ihre Geschichte, die Prinzipien und Werte des christlichen sozialen Denkens. All dies sollte mit pädagogischem Einfühlungsvermögen und in Übereinstimmung mit der kognitiven Entwicklung der Schüler formuliert werden. 

In der Tat - und das ist offensichtlich - reichen dafür gute theologische Kenntnisse nicht aus, sondern auch der Dialog mit den Humanwissenschaften (Pädagogik, Psychologie, Soziologie) ist erforderlich, der im Kopf des Lehrers beginnen muss. 

 

5. Der Dialog Glaube - Kultur als Hintergrund für den Religionsunterricht 

Der Religionsunterricht hängt mit der ganzen Schulbildung zusammen, verläuft also parallel zu und im Dialog mit den anderen Fächern des Lehrplans. Der Glaube bringt sein eigenes Licht und seine eigene Perspektive ein, um diesen Dialog in einer Weise führen zu können, die für die Sorge um die Menschen und die Welt, sowohl lokal als auch global, fruchtbar ist. Dies trägt dazu bei, die Schüler für den interkulturellen und interreligiösen Dialog in ihrem Umfeld (in ihren Familien, mit ihren Freunden und Mitbürgern) zu erziehen, unter Berücksichtigung ihrer eigenen Kultur mit ihren größtenteils christlichen Wurzeln, und mit dem Ziel, sich zu engagieren für die Gerechtigkeit und das Gemeinwohls in unseren Gesellschaften. 

 

6. Im Einklang mit den eigenen Zielen der Schule 

Folglich geht dieser Unterricht von dem Schulkonzept aus, das demokratischen Gesellschaften eigen ist. Er ist daher als eine Dienstleistung für die Gesellschaft und für die Einzelpersonen konzipiert und erteilt. In diesem Sinne unterscheidet er sich vom Katechumenat oder der Katechese, die zur kirchlichen Gemeinschaft gehört. Aus diesem Grund braucht der Religionsunterricht, auf schulischer und akademischer Ebene, die Beziehung zum kulturellen und religiösen Pluralismus, in seiner Rolle, zur menschlichen, intellektuellen, emotionalen und vitalen Bildung beizutragen, da Religion eine Antwort auf das jedem Menschen eigene Bedürfnis nach Spiritualität und Sinn ist. 

 

7. Der "Kompetenz"-Ansatz 

Erziehung legt heute den Schwerpunkt auf Kompetenzen (Kompetenz wurde vom Europäischen Rat 2006 definiert als "eine Kombination von Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen, die dem jeweiligen Kontext angemessen sind"). Und dafür setzen die Bildungsgesetze Richtlinien und Mindestziele fest. 

Die Europäische Union beschreibt 2018 acht Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen: 1) Lese- und Schreibkompetenz, 2) mehrsprachige Kompetenz, 3) mathematische Kompetenz und Kompetenz in Naturwissenschaften, Technik und Ingenieurwesen, 4) digitale Kompetenz, 5) persönliche und soziale Kompetenz sowie Lernkompetenz, 6) staatsbürgerliche Kompetenz, 7) unternehmerische Kompetenz, 8) Gewissenskompetenz und kulturelle Ausdrucksformen.

Daher sollte der neue Lehrplan für Religion seine Ziele in Übereinstimmung mit diesen Kompetenzen in jeder der Bildungsstufen (Kleinkind, Grundschule, Sekundarstufe und zwei Jahre vor der Matura) ) konkret skizzieren und erklären, wobei die Grundlernziele und ihre Inhalte einzeln anzugeben sind in Übereinstimmung mit den Bildungsdimensionen (kognitiv, instrumental und verhaltensmäßig) sowie die Bewertungskriterien und andere konkrete Hinweise. 

 

8. Programmierung nach Bereichen in einer globalisierten und interdisziplinären Weise

In diesem Forum wurde ersucht, dass die Herausforderung der Bildungserneuerung im Bereich der Religion bei der Programmierung des neuen Lehrplans nach Zyklen und Kursen mit Flexibilität umgesetzt werden kann, und dabei die Lehrpläne anderer Fächer berücksichtigt werden. Auf diese Weise kann die Integration des Religionsunterrichts zusammen mit anderen Fächern in bestimmten interdisziplinären Projekten erleichtert werden. 

 

9. Offenheit für aktive und kooperative Methoden

Schließlich gibt es Forderungen nach einer Öffnung des Lehrplans für Methoden (wie "Service-Learning"), die den Religionsunterricht mit Aktivitäten zur Veränderung oder zur Verbesserung des sozialen und des kulturellen Umfelds verbinden. Es hat sich gezeigt, dass diese innovativen Methoden sowohl die Motivation als auch das Verständnis für die wesentlichen Inhalte, die gelehrt werden sollen, erhöhen. Die Art und Weise, wie diese Projekte in die Praxis umgesetzt werden, liegt in der Verantwortung der einzelnen Schulen und der Lehrer. 

 

10. Ein gemeinsamer Lehrplan, formuliert für den örtlichen Bereich 

Die Bildungsreform des LOMLOE geht in die Richtung der Dezentralisierung einiger Fragen, die der Lehrplan aufwirft. Dies eröffnet im Fall der katholischen Religion die Möglichkeit, die gemeinsamen Elemente auf staatlicher Ebene mit anderen, die eher spezifisch ortsgebunden sind, zu kombinieren. 

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Wie man bei einer sorgfältigen Lektüre des Dokuments sehen kann, ist das Interesse an dem Thema groß, und das nicht nur im Fall von Spanien. Denn früher oder später zeigen die hier vorgestellten Themen (am Rande bemerkt oder in Kombination mit anderen Problemen politischer, juristischer und wirtschaftlicher Art) Wege und Horizonte, auf denen es weiterzugehen und die es anzupeilen gilt, zusammen mit der Möglichkeit, viele Aspekte des Religionsunterrichts zu verbessern. 

Die endgültige Konkretisierung des Lehrplans und vor allem seine Umsetzung wird eine immer stärkere Qualifizierung der Religionslehrerinnen und -lehrer sowie deren Fort- und ständige Weiterbildung erfordern. 

All dies erfordert von den Leitern der Bildungseinrichtungen ein hohes Maß an Sensibilität, die Fähigkeit, mit den Füßen auf dem Boden (Investitionen in die Ausbildung und in Ressourcen) zu träumen. Auf diese Weise wird es möglich sein, in dieser faszinierenden Aufgabe im Dienst aller voranzukommen: der Schüler, der Familien und Lehrer, der Gesellschaft und der kirchlichen Gemeinschaft. 

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(*) Das Dokument ist abrufbar unter der folgenden Adresse: https://hacianuevocurriculo.educacionyculturacee.es/images/documentacion/documentosintesisforo.pdf

Sonntag, 25. April 2021

Unterscheidung, Evangelisierung und Theologie

 

O. Bakhtina, The good Samaritan


Der Beginn des „Jahres der Familie“ (Familia Amoris laetitia) vom 19. März 2021 bis zum 26. Juni 2022 fiel mit dem 150. Jahrestag der Proklamation des hl. Alfons Maria von Liguori zum Kirchenlehrer zusammen. Anlässlich dieses 2. feierlichen Gedenktages hat der Papst eine Botschaft veröffentlicht, in der er den wichtigen Beitrag dieses Heiligen zur Erneuerung der Moraltheologie unterstreicht; er schließt dabei an und führt weiter aus, was BenediktXVI. bereits hervorgehoben hat.

Der Text greift die Worte von Papst Pius IX. auf, der den hl. Alfons dafür lobt, dass er in der Lage war, „den sicheren Weg durch das Gewirr der widerstreitenden Meinungen von Rigorismus und Laxheit“ zu zeigen.  Heute wird dieser Heilige, Patron der Beichtväter und Moralisten, von Franziskus auch als Vorbild für die ganze Kirche im missionarischen Einsatz vorgestellt.

In der Tat hat der Beitrag des hl. Alfons (durch seine missionarische Erfahrung, seine Suche der Fernstehenden und seine Bereitschaft,  Beichten zu hören, und als Gründer einer Ordensgemeinschaft) viel mit der heutigen Zeit zu tun, vor allem durch die Unterscheidung, ein Thema, das der Moral und der evangelisierenden und pastoralen Sendung gemeinsam ist.

 

Von der Unterscheidung zur Theologie

Unterscheidung ist seit der Antike für jeden reifen Menschen notwendig, der vor Entscheidungen über den Weg steht, den er einschlagen soll, sei es bei den gewöhnlichsten Tätigkeiten des täglichen Lebens oder manchmal bei wichtigeren Entscheidungen. Unterscheidung ist ein Akt der der praktischen Vernunft. Das ist nach Aristoteles die Dimension der Vernunft, die sich mit dem Handeln beschäftigt.

Wenn es ein Christ ist, der handelt,  erhellt außerdem  der Glaube sein Handeln und das der Kirche als Ganzes auf universaler oder lokaler Ebene. Wie auch auf der Ebene der Familien, Verbände und Bewegungen und weiteren kirchlichen Realitäten.

Alle unsere Handlungen haben immer Auswirkungen auf die anderen, auf unsere Familien, unsere Freunde, die Kirche und die Gesellschaft. Unterscheidung ist der Schlüssel, sowohl vom Standpunkt der  persönlichen Moral aus betrachtet, wie auch vom Standpunkt der Sozialethik aus und auch im Bereich der Evangelisierung oder Mission der Kirche.

Es ist verständlich, dass die Unterscheidungsfähigkeit besonders entscheidend im Fall der Regierenden ist. Auch für die Beichtväter. Und ganz allgemein für alle Erzieher (Familienväter und –mütter, Katecheten, Lehrer usw.), die sie selbst gewohnheitsmäßig ausüben und den jungen Menschen vermitteln müssen. Die Unterscheidung, in einer guten „Theologie des Handelns“, erfordert, wie in den Überschriften der päpstlichen Botschaft zu sehen ist, ein „Hören auf die Wirklichkeit“. Das heißt Kenntnis, Beobachtung und Bewertung der Situation und besonders der Personen. Und das alles, um „reife Gewissen für eine erwachsenen Kirche“  zu bilden.

Es ist auch zu verstehen, dass der Beitrag des hl. Alfons weiterhin ein wertvolles Licht für die gesamte Theologie ist, „Glaube, der zu verstehen sucht“. Diese Beziehung zwischen Glaube und Vernunft auf der Ebene des Handelns macht “Unterscheidung“ in christlicher Perspektive möglich: in der Realität jene Zeichen zu unterscheiden, die uns helfen können zu bewerten und zu entscheiden, was zu tun ist, ausgehend von unserer Identität als Christen und unserer evangelisierende Mission.

Es geht darum, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, das  Gute vom Schlechten, das Schöne von dem, was nicht schön ist. Die Unterscheidung sowohl im menschlichen Handeln als auch im Handeln der Christen (die das Menschliche in der Perspektive des Glaubens annehmen und „mit den Augen Christi“ schauen) ist die Ausübung der Tugend der Klugheit, die die „Lenkerin“ aller Tugenden ist und beim Urteil des Gewissens mitwirkt. Die Unterscheidung ist letztlich grundlegend für jeden Menschen und für jeden Christen im täglichen Leben.

 

Unterscheidung, Evangelisierung und Erziehung

Papst Franziskus hat die Unterscheidung zu einem ständigen Thema seiner Lehre im Zusammenhang mit der Neuevangelisierung gemacht. In seinem programmatischen Schreiben Evangelii gaudium (2013) zeigt er unter anderem auf:

„Jeder Christ und jede Gemeinschaft soll unterscheiden, welches der Weg ist, den der Herr verlangt, doch alle sind wir aufgefordert, diesen Ruf anzunehmen: hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit und den Mut zu haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen“(Nr. 20).  „(…) ich fordere auch jede Teilkirche auf, in einen entschiedenen Prozess der Unterscheidung, der Läuterung und der Reform einzutreten“(Nr. 30). Jeder Christ „weiß, dass er selbst wachsen muss im Verständnis des Evangeliums und in der Unterscheidung der Wege des Geistes, und so verzichtet er nicht auf das mögliche Gute, obwohl er Gefahr läuft, sich mit dem Schlamm der Straße zu beschmutzen“(Nr. 45).

Fünf Jahre später, in seinem Schreiben Gaudete et exsultate (2018) über den Ruf zur Heiligkeit in der heutigen Welt, kommt er wieder zurück auf die Unterscheidung im Bereich des christlichen Lebens auf der persönlichen, familiären, gesellschaftlichen und kirchlichen Ebene. Es geht um die Unterscheidung als erzieherische und begleitende „Methode“ und auch als „Inhalt“, das heißt als menschliche und verantwortliche Handlungsweise, die besonders jungen Menschen vermittelt werden kann und soll. Und er hebt fünf Punkte hervor:

1)   ihre zwingende Notwendigkeit, um wahre Freiheit erziehen und lernen zu können;

2)   sie muss immer im Licht des Herrn gemacht werden (eine konkrete Übung ist die „Gewissenserforschung“);

3)   sie ist eine übernatürliche Gabe des Heiligen Geistes (der uns hilft, über die Suche nach Wohlbefinden oder nach Eigeninteresse hinauszugehen); deshalb muss man ihn anrufen, um das Richtige zu treffen;

4)   sie erfordert  die Bereitschaft zu hören (auf Gott im Gebet und auch auf die anderen, und auf das Lehramt der Kirche);

5)   sie muss der „Logik des Kreuzes“ folgen (ohne sich von Bequemlichkeit oder Angst beeinflussen zu lassen).

„Die Unterscheidung“ – bemerkt hier Franziskus – „ist keine stolze Selbstanalyse oder egoistische Nabelschau, sondern ein wahrer Ausgang von uns selbst auf das Geheimnis Gottes zu, der uns hilft, die Sendung zu leben, zu der wir zum Wohl der Mitmenschen berufen sind“ (Nr. 175).

 

Unterscheidung, integrale Ökologie und universelle Geschwisterlichkeit

In der Botschaft über den hl. Alfons Maria von Liguori verbindet der Papst die Unterscheidung mit den Hauptthemen seines Pontifikats: die Evangelisierung einer Kirche, die „hinausgeht“, die besondere Aufmerksamkeit für die Schwächsten und Bedürftigsten, die Begleitung der Familien (jetzt, wo wir von neuem ein besonderes Jahr, das der Familie gewidmet ist, beginnen), die Sorge um die Erde für alle (integrale Ökologie) und die universale Geschwisterlichkeit.

Wie wir sehen, steht die Unterscheidung nicht im Gegensatz zum allgemeinen

Ruf zur Heiligkeit, sondern sie schützt und fördert die Berufung und die Sendung aller. Das gilt für die Mehrheit der Christen (die Laien, ob im Ehestand oder im Zölibat), wie auch für kirchliche Amtsträger oder Mitglieder einer Gemeinschaft geweihten Lebens. Sie hilft, eine individualistische Ethik zu überwinden (sehr häufig in unserer Kultur), die uns in uns selbst verschließen könnte. Und wie schon gesagt wurde, ist sie der Kern der Gewissensbildung. Zurück zum hl. Alfons, in Bezug auf die Moraltheologie weist Franziskus darauf hin, dass dieser Heilige eine theologische Reflexion gefördert hat, die „sich nicht bei der theoretischen Formulierung der Prinzipien aufhält, sondern sich vom Leben selbst herausfordern lässt“.

Über den hl. Alfons hatte Benedikt XVI. gesagt:  dass er „eine reiche moraltheologische Lehre erarbeitet hat, die der katholischen Lehre angemessenen Ausdruck verleiht. (…)  Zu seiner Zeit hatte sich eine sehr strenge Auffassung vom moralischen Leben verbreitet, auch aufgrund der jansenistischen Denkweise, die – statt Vertrauen und Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes zu nähren – die Angst schürte und ein Antlitz Gottes zeigte, das finster und streng war, weit entfernt von dem, das Jesus uns offenbart hat. Der hl. Alfons (…) bietet eine ausgewogene und überzeugende Synthese aus den Anforderungen des göttlichen Gesetzes, das in unsere Herzen eingeschrieben ist, von Christus vollkommen offenbart wurde und von der Kirche maßgebend ausgelegt wird, und den Dynamiken des Gewissens und der Freiheit des Menschen, die gerade in der Treue zur Wahrheit und zum Guten das Heranreifen und die Verwirklichung der Person gestatten“ (Generalaudienz,  30.III.2011).

Es ist anzumerken, dass dies (weil es eben auf der Ebene der praktischen Vernunft angesiedelt ist) gut und förderlich für die ganze Theologie ist, die eine evangelisierende Dimension und eine Dimension des Dienens am Gemeinwohl in der Gesellschaft hat. Besonders natürlich für die Pastoraltheologie, die sich mit der Evangelisierung befasst und für andere Disziplinen, die auch christliche oder kirchliche Handlungen untersuchen und die eine evangelisierende Dimension haben.

Franziskus möchte konkret „die Entwicklung einer theologisch-moralischen Reflexion und eines pastoralen Handelns fördern, das fähig ist, sich einzusetzen für das Gemeinwohl, das seine Wurzeln hat in der Verkündigung des Kerygma, das ein entscheidendes Wort in der Verteidigung des Lebens, für die Schöpfung und die Geschwisterlichkeit hat“.

Veröffentlicht von Ramiro Pellitero

ubersetzt von I.R.

Samstag, 27. März 2021

Der hl. Josef, die Arbeit und die Vaterschaft

 


Welche Bedeutung hat die Arbeit? Und was bedeutet es, Vater zu sein? Das sind zwei Themen, die Papst Franziskus im letzten Teil seines Briefs Patris corde (8.12.2020) über den hl. Josef behandelt. Wir führen hier die Einladung zur Lektüre des Briefes weiter, die wir vor mehreren Tagen begonnen haben,

Seit Leo XIII. (vgl. Enz. Rerum novarum, 1891) schlägt die Kirche den hl. Josef vor als Vorbild des Arbeiters und als Patron der Arbeiter. Bei der Betrachtung der Gestalt des hl. Josef – sagt Papst Franziskus in seinem Brief – versteht man besser die Bedeutung der Arbeit, die Würde verleiht, und den Platz der Arbeit im Erlösungsplan. Anderseits liegt es heute in unser aller Interesse, uns über die Vaterschaft Gedanken zu machen.

 

Die Arbeit und der Erlösungsplan

„Die Arbeit – schreibt der Papst - wird zur Teilnahme am Erlösungswerk selbst, sie wird zu einer Gelegenheit, das Kommen des Reiches Gottes zu beschleunigen, die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten weiterzuentwickeln und sie in den Dienst der Gesellschaft und der Gemeinschaft zu stellen; die Arbeit wird nicht nur zu einer Gelegenheit der eigenen Verwirklichung, sondern vor allem auch für den ursprünglichen Kern der Gesellschaft, die Familie“ (Patris corde, Nr. 6).

Hier lassen sich zwei miteinander verbundene Hinweise unterstreichen: eine ist die Beziehung der Arbeit mit der Familie. Die andere ist die aktuelle Lage, nicht nur die Pandemie, sondern der weitere Rahmen, der verlangt, dass wir unsere Prioritäten in Bezug auf die Arbeit prüfen. So schreibt Papst Franziskus:

„Die Krise unserer Zeit, die eine wirtschaftliche, soziale, kulturelle und geistliche Krise ist, mag allen ein Aufruf sein, den Wert, die Bedeutung und die Notwendigkeit der Arbeit wieder neu zu entdecken, um eine neue „Normalität“ zu begründen, in der niemand ausgeschlossen ist. Die Arbeit des heiligen Josef erinnert uns daran, dass der menschgewordene Gott selbst die Arbeit nicht verschmähte. Die Arbeitslosigkeit, von der viele Brüder und Schwestern betroffen sind und die in jüngster Zeit aufgrund der Covid-19-Pandemie zugenommen hat, muss zum Anlass werden, unsere Prioritäten zu überprüfen“ (Ebd).

 

Der Schatten des Vaters

Im letzten Teil seines Briefs verweilt der Papst bei der Überlegung, dass Josef es verstand, Vater „im Schatten“ zu sein (er zitiert das Buch des Polen Jan Dobraczynski, 1977, span. Ausgabe, Verlag Palabra, Madrid 2015)

Wenn wir über diesen „Schatten des Vaters“, oder in welchem der Vater ist, nachdenken, können wir berücksichtigen, dass unsere postmoderne Kultur die Wunden spürt, die durch eine Rebellion gegen die Vaterschaft verursacht worden sind, was verständlich ist, wenn man viele Ansprüche der Vaterschaft bedenkt, die nicht das waren, oder es nicht verstanden, das zu sein, was sie sein sollten; aber eine Rebellion dagegen ist in sich selbst unannehmbar, weil die Vaterschaft wesentlich zu unserem Menschsein gehört und wir sie alle brauchen. Tatsächlich brauchen wir heute überall Väter, zum Vater zurückzukehren.

In der heutigen Gesellschaft – bemerkt der Papst – scheinen di Kinder oft keinen Vater zu haben. Und er fügt hinzu, dass auch die Kirche Väter braucht, im wörtlichen Sinn zu verstehen: gute Familienväter, und auch in einem weiteren Sinn: geistliche Väter für andere (vgl. 1 Kor 4, 15; Gal 4, 19).

Was bedeutet es, Vater zu sein? Der Papst erklärt es mit einem Vorschlag:  Vater zu sein bedeutet, das Kind an die Erfahrung des Lebens, an die Wirklichkeit heranzuführen. Nicht, um es festzuhalten, nicht, um es einzusperren, nicht, um es zu besitzen, sondern um es zu Entscheidungen, zur Freiheit, zum Aufbruch zu befähigen“ (Nr.7). Und er denkt, dass das Wort „keuschester“, das die christliche Tradition neben Josef gestellt hat, diese „Logik der Freiheit“ ausdrückt, die jeder Vater haben soll, um wirklich frei zu lieben.

Papst Franziskus bemerkt, dass dies alles der hl. Josef nicht vor allem als „Selbstaufopferung“ betrachten würde, was eine gewisse Frustration bewirken könnte; sondern einfach als Geschenk seiner selbst, als Frucht des Vertrauens. Deshalb führt Josefs Schweigen nicht zu Klagen, sondern drückt Vertrauen aus.

 

Vom „Opfer“ zur Selbsthingabe

Hier wird eine letzte Vertiefung über die Beziehung zwischen Opfer und Großzügigkeit aus Liebe aufgezeigt, aus einer Perspektive, die christlicher Humanismus oder christliche Anthropologie genannt werden könnte. Tatsächlich ist es schließlich und endlich das, was Gott getan hat, angefangen von der Menschwerdung und bei all seinem erlösenden Handeln für uns: sich selbst schenken. Deshalb verwirklicht sich auch die Person, das Abbild Gottes, nur in der aufrichtigen Hingabe ihrer selbst (vgl. Gaudium et spes 24).

Papst Franziskus stellt fest: „Die Welt braucht Väter, Despoten aber lehnt sie ab, also diejenigen, die besitzergreifend sind, um ihre eigene Leere zu füllen; sie lehnt die ab, die Autorität mit Autoritarismus verwechseln, Dienst mit Unterwürfigkeit, Auseinandersetzung mit Unterdrückung, Nächstenliebe mit übertriebener Fürsorge, Stärke mit Zerstörung. Jede wahre Berufung kommt aus der Selbsthingabe, die die reifere Form des bloßen Opfers ist“.

Um aus diesem Argument wirklich Nutzen zu ziehen, müssen wir uns die eher negative und abschätzige Bedeutung dessen, was das Wort „Opfer“ im gewöhnlichen Sprachgebrauch heutzutage ausdrückt, vor Augen halten. Wenn wir, zum Beispiel, sagen: „Wenn nichts anderes übrigbleibt, bringen wir das Opfer, um das und das zu erreichen…“. Oder wenn wir ausdrücken, dass uns etwas nicht gefällt oder uns jemand unsympathisch ist, aber wenn wir „ein Opfer bringen“, können wir es ertragen.  

Dies kann man als Resultat der Entchristlichung der Kultur sehen; denn von einer christlichen Perspektive aus gesehen, hat das Opfer nicht an erster Stelle diese traurige, negative, miesmachende Nebenbedeutung, sondern im Gegenteil: es ist etwas, das sich lohnt, denn dahinter ist das Leben und die Freude. Mit Sicherheit denkt keine Mutter und kein Vater, der tut, was er tun soll, dass er „ein Opfer bringt“, oder wenn er jemandem einen Gefallen tut, bei dem er sich sehr anstrengen muss, dass ihm „nichts anderes überbleibt“.

Wenn die christliche Perspektive verloren geht (das heißt der Glaube, dass Christus der Sohn Gottes ist, der menschliches Fleisch angenommen hat, um uns zu erlösen, der auf dem Kreuz gesiegt hat, und dass das Kreuz deshalb Quelle der Ruhe, des Vertrauens und der Freude ist), klingt das Wort „Opfer“ heute traurig und unbefriedigend. Der Papst drückt das gut aus, wenn er vorschlägt, die (bloß menschliche)Logik des Opfers“ zu überwinden. Tatsächlich hat das Opfer ohne den vollen Sinn, den ihm die christliche Perspektive gibt, etwas Unterdrückendes und Selbstzerstörerisches an sich.

Bezüglich der Großzügigkeit, die jede Vaterschaft verlangt, fügt der Papst in der Tat etwas dazu, das den Weg, der kirchlichen Berufungen erhellt: „Dort, wo eine eheliche, zölibatäre oder jungfräuliche Berufung nicht die Reife der Selbsthingabe erreicht und allein bei der Logik des Opfers stehen bleibt, wird sie kaum zu einem Zeichen für die Schönheit und die Freude der Liebe werden, sondern womöglich den Eindruck von Unglück, Traurigkeit und Frustration erwecken“.

Das ist richtig. Und dass kann in Beziehung gesetzt werden mit dem wahren Sinn der christlichen Freiheit, die nicht nur die Opfermentalität des Alten Testaments übersteigt, sondern auch die Versuchung eines „voluntaristischen Moralismus“.

Das hat Josef Ratzinger - Benedikt XVI. bei verschiedenen Gelegenheiten gut erklärt, ausgehend von dem Absatz Röm 12, 1 (über den „geistigen Kult“). Es ist ein Irrtum, sich retten zu wollen, sich zu reinigen, oder sich aus eigenen Kräften  zu erlösen. Die Botschaft des Evangeliums schlägt vor, die Darbringung des eigenen Lebens von Tag zu Tag zu lernen in Gemeinschaft mit Christus, im Rahmen der Kirche und auf dem Mittelpunkt der Eucharistie (vgl. konkret Generalaudienz, 7.1.2009).

Das, kommt uns vor, erhellt, was Papst Franziskus in dem Brief sagt; er formuliert es in Begriffen, die jeder akzeptieren kann, nicht nur ein Christ, und zugleich liegt es auf dem Weg zur Fülle des Christlichen: die Vaterschaft muss offen sein für die neuen Räume der Freiheit der Kinder. Und das setzt übrigens die Sorge des Vaters und der Mutter voraus, ihre Kinder in der Freiheit und in der Verantwortlichkeit zu bilden.

Es lohnt sich, diesen Absatz abzuschreiben, der fast am Ende dieses Briefes steht: „Jedes Kind trägt ein Geheimnis in sich, etwas noch nie Dagewesenes, das nur mit Hilfe eines Vaters zur Entfaltung gebracht werden kann, der seine Freiheit respektiert; eines Vaters, der sich bewusst ist, dass sein erzieherisches Handeln erst dann zum Ziel kommt und dass er erst dann sein Vatersein ganz lebt, wenn er sich „nutzlos“ gemacht hat, wenn er sieht, dass das Kind selbständig wird und allein auf den Pfaden des Lebens geht, wenn er sich in die Situation Josefs versetzt, der immer gewusst hat, dass das Kind nicht seines war, sondern einfach seiner Obhut anvertraut worden war“.

 

(Veröffentlicht von Ramiro Pellitero)

ubersetzt von I.R.

Donnerstag, 11. März 2021

Vaterherz

In seinem Brief über den hl. Josef, Patris corde (8. XII. 2020), mit dem Papst Franziskus ein „Jahr des hl. Josef“ bis zum 8. Dezember 2021 ausruft, sagt er, dass sein Ziel sei, „die Liebe zu diesem großen Heiligen zu fördern und einen Anstoß zu geben, ihn um seine Fürsprache anzurufen und seine Tugenden nachzuahmen“.


Deshalb beginnt der Papst zu erklären, welche Art Vater der hl. Josef war und welche Sendung ihm Gott anvertraute. Der hl. Josef war nicht das, was wir heute „biologischer Vater“ Jesu nennen würde, sondern nur sein „legaler Vater“. Trotzdem lebte er die Vaterschaft für Jesus und als Gemahl Mariens in hervorragender Weise. Als solchen haben ihn viele Heilige betrachtet, angefangen vom hl. Irenäus und dem hl. Augustinus, über diverse Kirchenlehrer, unter denen die hl. Teresa von Avila hervorragt, bis zum hl. Josefmaria und dem hl. Johannes Paul II.

Wenn man den Brief von Franziskus liest und betrachtet, kann es einem gelingen wiederzuentdecken, wie der hl. Josef nicht nur Behüter der Kirche ist, sondern auch der Menschheit, besonders ihres zerbrechlichsten Teiles, jener bedürftigsten Glieder. Auf jeden Fall handelt es sich um einen wichtigen Heiligen. Mehr noch, wie Franziskus schreibt, „Nach Maria, der Mutter Gottes, nimmt kein Heiliger so viel Platz im päpstlichen Lehramt ein wie Josef, ihr Bräutigam.“

Warum jetzt dieser Brief? Franziskus weist darauf hin, dass es - zusammen mit dem Anlass des 150. Jahrestags der Erklärung Josefs als den Patron der gesamte Kirche - einen „persönlichen“ Grund gibt: von dem zu sprechen, was sein Herz erfüllt (vgl. Mth 12, 34). Außerdem bekennt er in der Einführung: „dieser Wunsch ist jetzt in den Monaten der Pandemie gereift“. So lernen wir einige Gedanken und den geistigen Prozesse kennen, die sich im Herzen des Papstes während der Pandemie abgespielt haben (vgl. ausführlicher im Buch Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise. Gespräche mit Austen Ivereigh. Kösel-Verlag 2002).

Wie es der Papst bei verschiedenen Gelegenheiten getan hat, hebt er hervor und dankt für das Zeugnis von so vielen „gewöhnlichen Menschen – die gewöhnlich vergessen werden – ,(…) die aber heute zweifellos eine bedeutende Seite unserer Geschichte schreiben“, denn sie arbeiten, geben Hoffnung und beten, fast immer diskret, aber indem sie uns alle stützen.

Ihnen allen und auch uns schlägt er das Beispiel und die Hilfe des hl. Josef vor: „Alle können im heiligen Josef, diesem unauffälligen Mann, diesem Menschen der täglichen, diskreten und verborgenen Gegenwart, einen Fürsprecher, Helfer und Führer in schwierigen Zeiten finden. Der heilige Josef erinnert uns daran, dass all jene, die scheinbar im Verborgenen oder in der „zweiten Reihe“ stehen, in der Heilsgeschichte eine unvergleichliche Hauptrolle spielen. Ihnen allen gebührt Dank und Anerkennung“.

In seinem Brief widmet Papst Franziskus dem hl. Josef sieben Überschriften in Form von „Titeln“, die sieben Anrufungen einer kleinen „Litanei des Vaters“ entsprechen könnten: geliebter Vater, in der Zärtlichkeit, in dem Gehorsam, in der Annahme, im schöpferischen Mut, in der Arbeit, immer im Schatten.

Neben den historischen und biblischen „Wurzeln“ des hl. Josef (vgl. Gen 41, 55; 2 Sam 7, Mth 1, 16.20), des geliebten Vaters, und den Grundlagen seiner Identität und unserer Verehrung für ihn (seine Verbundenheit mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes und seine Rolle als gesetzlicher Vater Jesu und Mann Mariens), treten in dem Brief große Themen des Lehramtes von Franziskus zu Tage, mit eigenen Akzenten und Ausdrücken.



Vater in der Zärtlichkeit, im Gehorsam und in der Annahme

„Jesus erlebte an Josef Gottes Barmherzigkeit“ (Nr. 2), was man von jedem guten Vater erwarten sollte (vgl. Ps 103, 13). Während er ihn in seiner kindlichen Schwäche beschützte, lehrte Josef Jesus, Gott zu „sehen“ und sich im Gebet an Ihn zu wenden. Auch für uns „ist es wichtig, der Barmherzigkeit Gottes zu begegnen - insbesondere im Sakrament der Versöhnung - und eine Erfahrung von Wahrheit und Sanftmut zu machen“ (ebd.). Dort nimmt Gott uns an und umarmt uns, er richtet uns auf und verzeiht uns. Josef „lehrt uns auch, dass wir uns inmitten der Stürme des Lebens nicht davor fürchten müssen, das Ruder unseres Bootes Gott zu überlassen“ (ebd.).

Ähnlich wie Maria sprach auch Josef sein „fiat!“ (es geschehe) zum Plan Gottes. Er war Gott gehorsam in dem, worum er ihn bat, obwohl es ihm im Schlaf geoffenbart wurde. Und was erstaunlich erscheint, er „lehrte“ Jesus den Gehorsam. „In der Verborgenheit von Nazaret, in der Schule Josefs, lernte Jesus, den Willen des Vaters zu tun“ (Nr. 3). Und das bis hin zur Passion und zum Kreuz (vgl. Joh 4, 34; Phil 2, 8; Hebr 5, 8).

Wie der hl. Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben Redemptoris custos (1989) über den hl. Josef schrieb: „Der hl. Josef wurde von Gott dazu berufen, durch die Ausübung seiner Vaterschaft unmittelbar der Person und Sendung Jesu zu dienen; auf diese Weise wirkt er in der Fülle der Zeit an dem großen Geheimnis der Erlösung mit und ist tatsächlich »Diener des Heils«“.

Dies alles ereignete sich durch die „Annahme“ Mariens und des Planes Gottes für sie durch Josef. Josef nahm diesen für ihn geheimnisvollen Plan an mit persönlicher Verantwortung, ohne leichte Lösungen zu suchen. Und diese Ereignisse kennzeichnen sein inneres Leben. Somit ist „das geistliche Leben, das Josef uns zeigt, nicht ein Weg, der erklärt, sondern ein Weg, der annimmt (Nr. 4).



Vater in seinem schöpferischen Mut


Auch wenn diese Pläne Gottes die Erwartungen Josefs übertreffen, resigniert er nicht passiv, sondern handelt mit Starkmut. Und so gibt er uns ein Beispiel und er unterstützt uns, wenn es darum geht, unser Leben mit „schöpferischem Mut“ so, wie es ist, anzunehmen, auch mit seinem widersprüchlichen, unerwarteten, ja sogar enttäuschenden Anteil. Der hl. Paulus wird dann sagen, dass „Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt“ (Röm 8, 28).

Es ist leicht anzunehmen, dass die, die Gott wahrhaft lieben, auch die sind, die diese Liebe im Interesse für die anderen zum Ausdruck bringen. Tatsächlich schreibt Franziskus - und drückt dabei noch eine sehr persönliche Sichtweise aus -: „Gerne stelle ich mir vor, dass die Haltung Josefs Jesus zum Gleichnis vom verlorenen Sohn und vom barmherzigen Vater inspiriert hat (vgl. Lk 15,11-32)“. (Ebd.)

Der Papst weist darauf hin, dass anzunehmen, was wir in unserem Leben nicht gewählt haben, und mit schöpferischem Mut zu handeln, Gelegenheiten sind, deren Gott sich bedient, um „bei jedem von uns Ressourcen zum Vorschein bringen, von denen wir nicht einmal dachten, dass wir sie besäßen (Nr. 5)“. Konkret gesprochen: Josef „versteht es, ein Problem in eine Chance zu verwandeln, und zwar dadurch, dass er immer in erster Linie auf die Vorsehung vertraut“.

Wie reagierte Gott auf dieses Vertrauen Josefs? Indem er eben seinerseits auf Josef vertraute – wie das bei uns geschehen kann – auf das, was er planen, ausdenken und finden konnte. Das ist immer – ließe sich von unserer Seite folgern – die christliche Sendung: ein Angebot des Vertrauens Gottes, der unseres verlangt, um große Dinge zu tun.

Und so, wie er der Behüter Jesu und seiner Mutter Maria war, ist es nur „folgerichtig, dass der heilige Josef der Schutzpatron der Kirche ist, denn die Kirche ist die Ausdehnung des Leibes Christi in der Geschichte, und gleichzeitig ist in der Mutterschaft der Kirche die Mutterschaft Mariens angedeutet“ (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 963-970). Dieser Brief könnte „Beschützer der Kirche“ genannt werden. Franziskus ermuntert uns auch in origineller Weise wahrzunehmen, dass wir, wenn wir die Kirche behüten, auch Jesus und Maria behüten. Man erinnere sich an die Aufgabe zu „behüten und dienen“, die der Papst in seiner Predigt in der Messe zum Beginn des Petrusdienstes (19.03.2013) dem hl Josef zuschreibt.

Und nicht nur das, sondern konsequenterweise sind die Bedürftigsten nach dem Willen Jesu (vgl. Mth 25, 40) auch diese „Kind“, das Josef weiterhin behütet: „So ist jeder Bedürftige, jeder Arme, jeder Leidende, jeder Sterbende, jeder Fremde, jeder Gefangene, jeder Kranke „das Kind“, das Josef weiterhin beschützt. Deshalb wird der heilige Josef als Beschützer der Elenden, der Bedürftigen, der Verbannten, der Bedrängten, der Armen und der Sterbenden angerufen“ (Patris corde Nr. 5).

Diese Vertiefung im hl. Josef als Beschützer der Kirche in und durch (wenn auch nicht exklusiv) die Allerärmsten ist wirklich interessant, und sie deutet dabei auch an, dass Maria sich mit ihnen identifiziert. Das ist nicht befremdend, kann man denken, denn sie ist die Mutter der Barmherzigkeit und die Gemahlin Christ, die sich mit allem, was ihn betrifft und ihm wichtig ist, identifiziert. „Von Josef – (schlägt der Papst vor) - müssen wir die gleiche Fürsorge und Verantwortung lernen: das Kind und seine Mutter zu lieben; die Sakramente und die Nächstenliebe zu lieben; die Kirche und die Armen zu lieben. Jede dieser Wirklichkeiten ist immer das Kind und seine Mutter“.

(Ein zweiter Teil wird folgen) 

ubersetzt von I.R.

http://iglesiaynuevaevangelizacion.blogspot.com/2020/12/corazon-de-padre.html



Staunen, Schönheit und christliches Zeugnis

Pestsäule, Wien
Eine der Heiligsten Dreifaltigkeit gewidmete, 21 m hohe Säule in Wien, 
1693 errichtet zum Dank für das Ende der Pestepidemie, 
unter der die Stadt Jahre hindurch gelitten hatte.
 
 

Die Botschaft, die Kardinal Parolin im Auftrag von Papst Franziskus (5-VIII-2020) an das Treffen in Rimini gesandt hatte, hebt die Möglichkeit des Staunens hervor, um auch inmitten der dramatischen Erfahrungen der Pandemie mit den Augen eines Kindes (vgl. Mth 18, 3) den Wert der menschlichen Existenz, den Wert der anderen Wesen und der Liebe zu entdecken. Und dieses Staunen drückt sich jetzt aus – es kann und muss sich ausdrücken – im Mitleid und im Dienst angesichts der Bedürfnisse derer, die in unserer Nähe leben.

In der Tat. Die Verwunderung, das Staunen oder die Verblüffung haben mit der Fähigkeit des Schauens zu tun. Der Weichensteller sagt zum kleinen Prinzen (Kapitel XXII), dass die Reisenden in den Zügen nichts suchen und nichts verfolgen, normalerweise schlafen oder gähnen sie; „nur die Kinder drücken ihre Nasen gegen die Fensterscheiben…nur sie wissen, wohin sie wollen…“.

Wenn der Anfang der Philosophie die Aufmerksamkeit auf die Wirklichkeit und das Leben ist, dann ist auch das Staunen - eine ausschließlich menschliche Fähigkeit – Bedingung, um das Geheimnis zu erfassen, das die Wurzel und das Fundament aller Dinge bildet, und besonders all dessen, was mit den Personen zu tun hat, mit dem Heimweh und der Sehnsucht nach dem Unendlichen. Damit verbunden ist der Weg der Schönheit, dessen Fülle in Christus liegt, der das Wunder des Lebens offenbart, wenn man eine rettende Liebe entdeckt.

„Manche Menschen, - heißt es in der Botschaft -, haben sich auf die Suche nach Antworten oder auch nur nach Fragen über den Sinn des Lebens gemacht, nach dem wir alle streben, auch ohne uns dessen bewusst zu sein: statt ihren tiefsten Durst zu stillen, hat der Lockdown bei einigen die Fähigkeit wiedererweckt, über Menschen und Tatsachen zu staunen, die vorher als selbstverständlich betrachtet wurden. Dieser so dramatische Umstand hat uns, wenigstens für kurze Zeit, wieder eine aufrichtigere Wertschätzung für das Leben gegeben, ohne die Vielzahl an Ablenkungen und Vorurteilen, die den Blick vernebeln, die Dinge unscharf machen, das Staunen leer machen und uns davon abbringen, uns zu fragen, wer wir sind“.


Staunen und Schönheit

Mitten in der gesundheitlichen Notlage hat der Papst einen Brief erhalten, unterzeichnet von verschiedenen Künstlern, die ihm danken, dass er für sie gebetet hat. „Die Künstler - sagte der Papst in der Frühmesse am 7. Mai – lassen uns verstehen, was die Schönheit ist, und ohne das Schöne kann man das Evangelium nicht verstehen“.

Gewiss. Die Schönheit ist vor allem ein Weg, um zu anderen tiefen Dimensionen des Seins zu gelangen, wie die Wahrheit und das Gute. In unserer Epoche ist die Wahrheit häufig durch die Ideologien manipuliert und durch den Relativismus verdunkelt worden; und das Gute ist auf seine soziale und rein menschliche Dimension reduziert worden.

In einem Dokument aus dem Jahr 2006 hob der päpstliche Kulturrat den anthropologischen und auch evangelisierenden Wert der Schönheit hervor:

„Der Weg der Schönheit kann, aus der einfachen Erfahrung der Begegnung mit der Schönheit, die Bewunderung weckt, den Weg zur Suche nach Gott öffnen und das Herz und den Geist dazu bringen, Christus zu begegnen, der Schönheit der menschgewordenen Heiligkeit, die Gott den Menschen zu ihrer Rettung anbietet. Heute lädt diese Schönheit den Augustinus unserer Zeit – den unermüdlichen Suchenden der Liebe, der Wahrheit und der Schönheit – dazu ein, sich von der sinnlichen Schönheit zur Ewigen Schönheit zu erheben und mit heiligem Eifer Gott, den Baumeister aller Schönheit, zu entdecken“ (Die „Via Pulchritudinis“, Weg der Evangelisierung und des Dialogs, II, 1).

Hier wurde anerkannt, dass nicht alle Kulturen in gleicher Weise offen für das Transzendente, und bereit sind, die christliche Offenbarung anzunehmen, aber sie können sich öffnen für die echte Schönheit, die mit der Wahrheit und dem Guten in Beziehung steht; und nicht für die, die sich von einer konsumbezogenen oder nützlichen Ästhetik mitreißen lässt. Gleichzeitig besagt das Schöne mehr als das Wahre oder das Gute. Das Schöne weckt Staunen – was die Klassiker schätzten - bei der Erfassung der Klarheit, die zum Beispiel die Vollkommenheit eines echten Kunstwerks vermittelt.

Kehren wir zur Botschaft von Kardinal Parolin zurück: er zitiert die folgenden Worte von Urs von Balthasar:

In einer Welt ohne Schönheit (…) hat das Gute von selbst seine Anziehungskraft verloren, die Evidenz seiner „Muss sein“-Verwirklichung; der Mensch steht perplex davor und fragt sich, warum er das Gute tun muss und nicht das Böse. Schließlich ist das eine andere Möglichkeit und sogar eine spannendere; (…) In einer Welt, die sich nicht mehr in der Lage fühlt, die Schönheit zu bejahen, haben auch die demonstrativen Argumente der Wahrheit ihre Schlagkraft verloren, ihre Kraft logischer Folgerung. (…) der Prozess, der zu einer Schlussfolgerung führt, ist ein Mechanismus, der niemanden interessiert, und die Schlussfolgerung selbst schließt auf gar nichts“ (Gloria, I, Madrid 1985, S. 23).

Im Gegenteil dazu bemerkt das Dokument, auf das wir uns bezogen haben, „Es ist die Schönheit wie die Wahrheit, die dem Herz des Menschen Freude bringt und diese kostbare Frucht ist, die dem Verschleiß der Zeit widersteht, die die Generationen vereint und sie dazu bringt, Dinge in Bewunderung zu teilen. Mit einer reinen Seele betrachtet, spricht Schönheit direkt zum Herzen, steigt innerlich von Staunen zu Bewunderung, von Glück zu Kontemplation. Dadurch schafft sie einen fruchtbaren Boden, um zuzuhören und mit dem Menschen in Dialog zu treten und um den ganzen Menschen einzubinden – Geist und Herz, Intelligenz und Vernunft, schöpferische Fähigkeit und Phantasie. Schönheit lässt nicht gleichgültig: sie weckt Emotionen, sie setzt eine Dynamik tiefer innerer Umwandlung in Gang, die Freude erzeugt, Gefühl der Fülle, den Wunsch nach freier Teilnahme an der Schönheit selbst, sie sich zu eigen zu machen, sie zu verinnerlichen und in die eigene konkrete Existenz zu integrieren“ (La „Via Pulchritudinis“…, II, 3).


Weg der Schönheit und christliches Zeugnis

Der Weg der Schönheit ist heute besonders auf dem Gebieten der Erziehung und der Kommunikation anerkannt. Auch als Weg der Evangelisierung, die Erziehung und Kommunikation des Glaubens ist. Denn der Autor der Schönheit selbst, der gleichzeitig der „Autor“ der Wahrheit und des Guten (vgl. Joh 14, 6) ist, bringt uns auf die Spur. Papst Franziskus weist darauf hin:

„(…) Alle Ausdrucksformen wahrer Schönheit können als Weg anerkannt werden, der hilft, dem Herrn Jesus zu begegnen. (…). Wenn wir, wie Augustinus sagt, nur das lieben, was schön ist, dann ist der menschgewordene Sohn, die Offenbarung der unendlichen Schönheit, in höchstem Maß liebenswert und zieht uns mit Banden der Liebe an sich. Dann wird es notwendig, dass die Bildung in der via pulchritudinis sich in die Weitergabe des Glaubens einfügt“ (Evangelii gaudium 167).

Die Botschaft endet mit der Einladung an die Christen, diese Schönheit der Liebe Gottes zu bezeugen, die sich uns in Jesus Christus erwiesen hat, der Liebe, die uns das Leben verändert hat und die uns das Wunder des Lebens schätzen lässt: das ist es, was Johannes Paul II. 1984 ausdrückte: „Es lohnt sich, Mensch zu sein, denn Du, Christus, bist Mensch gewesen“. 
 
So können wir als Zeugen der Liebe, die rettet, die Hoffnung unserer Mitmenschen aufrechterhalten, besonders derer, die unter den gegebenen Umständen leiden. 

(ubersetzt von I.R.)
http://iglesiaynuevaevangelizacion.blogspot.com/2020/08/asombro-belleza-y-testimonio-cristiano.html
 

Donnerstag, 24. Mai 2018

Heiligkeit für alle






In dem Apostolischen Schreiben Gaudete etexaltate (“Freut euch undjubelt”) über den Ruf zur Heiligkeit in der heutigen Welt (19.3.2018) erklärt Papst Franziskus den christlichen Weg zur Heiligkeit. Ein Weg, der allen vorgeschlagen wird und dessen wir Christen uns besonders bewußt sein sollen.

Der Papst erläutert zuerst, was Heiligkeit bedeutet und weist auf einige Fehlinterpretationen hin. Dann zeigt er die Lehren Jesu in den Evangelien auf. Anschließend legt er verschiedene Ausdrucksformen oder Kennzeichen der Heiligkeit dar. Am Schluss hebt er einige Mittel hervor, die dem Christen zur Verfügung stehen, um selber an seiner Heiligkeit mitzuarbeiten. Nach einer ersten und schnellen Lektüre können einzelne Schwerpunkte aufgezeigt werden.

Mittwoch, 24. Januar 2018

Jesus Christus im Mittelpunkt der Erziehung im Glauben

B. E. Murillo, La resurrección del Señor (1650-1660)

In einer Botschaft an das Internationale Symposium über die Katechese in Buenos Aires vom 11. bis 14. Juni 2017 hat Papst Franziskus deutlich auf den Mittelpunkt der Erziehung im Glauben hingewiesen: „Je mehr Jesus den Mittelpunkt in unserem Leben einnimmt, desto mehr lässt er uns aus uns selbst hinausgehen, nimmt uns selbst aus dem Mittelpunkt und macht uns zum Nächsten der anderen“.

An diesem Symposium hat Erzbischof Luis Ladaria, der derzeitige Präfekt für die Glaubenslehre, teilgenommen. In seiner Ansprache betonte er, dass Christus der Mittelpunkt des Glaubens ist, weil er der einzige und endgültige Vermittler des Heils ist, da er „der treue Zeuge“ (Offb. 1, 5) der Liebe Gottes, des Vaters ist. Der christliche Glaube ist Glaube an diese Liebe, an ihre wirksame Kraft, an ihre Fähigkeit, die Welt zu verändern und über der Zeit zu stehen. Die konkrete Liebe Gottes des Vaters, die sich im Leiden, im Tod und in der Auferstehung Christi, der vollkommener Gott und vollkommener Mensch ist, erkennen und berühren lässt, diese in Christus offenbar gewordene Liebe des Vaters gelangt zu uns, weil wir seit unserer Taufe durch den Heiligen Geist gesalbt sind.

In diesem Prozess nimmt die Auferstehung Christi ihrerseits einen zentralen Platz ein. Welche „praktischen“ Konsequenzen hat das und was bedeutet es für uns? Wie soll man die zentrale Rolle Christi in der Erziehung im Glauben erfassen und leben?